Vermeidung vermeiden: Wie bei Ängsten mit Konfrontation gearbeitet wird
Wenn Angstpatienten den Begriff Desensibilisierung oder gar Konfrontation hören, sträuben sich manch einem die Nackenhaare. Und er überlegt, ob er nicht lieber die Therapie vermeiden soll, zu stark sind die Emotionen.
Das ist kein Wunder, denn sich dem Auslöser auszusetzen, klingt durchaus bedrohlich. Schon das Wort Konfrontation erinnert eher an Kampf und Anstrengung als an Heilung. Alles in der Person fängt an sich zu sträuben.
Bilder von großen Spinnen, die den Arm hoch krabbeln entstehen vor dem inneren Auge des Spinnenphobikers und er überlegt sich, dass ihn seine Spinnenphobie doch eigentlich gar nicht so stark einschränkt, und er ja fast normal leben kann.
Auch der Klaustrophobiker findet seine Angst vor Fahrstühlen plötzlich gar nicht mehr so schlimm, denn Treppen laufen bringt immerhin körperliche Fitness. Und Urlaub kann man ja auch mit der Bahn machen, wenn es einem vor der Enge des Flugzeugs graut.
Wer nicht gerne vor Menschen spricht, also von einer mehr oder weniger ausgeprägten sozialen Phobie geplagt ist, bleibt lieber im Beruf und privat unter seinen Möglichkeiten. Oder allein und ohne Partner, als sich dem Thema trotz der Fluchtimpulse zu stellen.
Jede für sich genommen, sind die meisten sicher nur kleinere Einschränkungen, aber selbst wenn es nur bei diesen kleinen und im Grunde unbedeutenden Momenten des Verzichts bliebe, so hat der Mensch schon das Regiment der Angst akzeptiert und ist nicht mehr ganz frei in seinen Entscheidungen. Mit den entsprechenden Auswirkungen auf Selbstwirksamkeits- und Selbstwerts-Empfinden.
Problematischer wird es, wenn sich die Dinge und Situationen, die vermieden werden, häufen und thematisch ausweiten. Der Handlungsspielraum und die Möglichkeiten der Person werden zusehends eingeschränkter. Im weiteren Verlauf können sich weitere Ängste, Zwänge oder Depressionen einstellen. Auch die Abhängigkeit von Anderen wächst. Und so geht Stück für Stück die Freiheit immer weiter verloren.
Und als ob das an negativen Auswirkungen nicht genug wäre, steigt auch sein Stresslevel. Denn das Leben wird zusehends von Vermeidungsstrategien geprägt. Das ist nicht nur sehr anstrengend, die Angst gewinnt auch immer mehr Boden, wird immer herrischer, bis von der Person, die sie war, immer weniger übrig ist. Träume, Leichtigkeit, Spaß scheinen verloren.
Doch was passiert eigentlich, wenn wir vermeiden und warum ist es so ungünstig?
Es liegt in der Natur der Angst, dass sie einen Fluchtreflex auslöst. Dafür ist sie eigentlich in uns angelegt, war sogar überlebenswichtig für die Gattung Mensch. Der Mensch zeichnet sich weder durch besonders effektive Nahkampffähigkeiten noch durch Schnelligkeit aus. Überlebt haben vor allem die ängstlicheren, also vorsichtigeren Exemplare. Kein Wunder also, dass Angst einen so starken Einfluss auf uns hat und auch im Zweifelsfall deutlich schneller und stärker ist als die Vernunft.
Bei Menschen mit Panikattacken und Ängsten ist dieser Automatismus besonders ausgeprägt und kann auch ohne (äußeren) Anlass auftreten. Ausschlaggebend sind hier die inneren Bilder und gefürchteten stets negativen inneren Horrorszenarien. Gleich einem Albtraum mit den entsprechenden körperlichen, emotionalen und gedanklichen Auswirkungen. Daher ist die Vermeidungsstrategie nur allzu verständlich, trägt jedoch zur Erhaltung und häufig auch zur Verstärkung der Angst bei.
Wie kann die Vermeidung zu einer Verstärkung des Problems beitragen?
Angst ist rein hirnphysiologisch in einer Region angesiedelt, das mit Logik und Vernunft wenig zu tun hat: Das Zwischenhirn, genauer gesagt die Amygdala. Im Zwischenhirn geht es eher um ein Lust-Unlust-Prinzip als um eine realistische Beurteilung des Ist-Zustands. Da diese Hirnregion entwicklungsgeschichtlich so viel älter ist, als das „vernünftige“ Frontalhirn, hat sie auch eine weit stärkere und unmittelbarere Auswirkung auf den Organismus. Sie diskutiert nicht.
Angst ist unangenehm (Unlust) und hat eigentlich nur eine wirkliche Absicht: „Sofort weg hier!“, egal, ob der Anlass objektiv Grund zur Sorge bietet oder nicht. Mit Argumenten braucht man ihr nicht zu kommen.
Somit wird die angstauslösende Situation verlassen und künftig gemieden. Diese Erfahrung war so unangenehm, dass bereits die geringste Ähnlichkeit in Zukunft eine Unlust hervorrufen wird, selbst wenn die Ursprungs-Situation nicht bewusst erinnert wird. Die durch Vermeidung zunächst einsetzende Erleichterung fördert nun wiederum das Lust-Prinzip. Vermutlich glaubt nun das Angstzentrum, richtig gehandelt zu haben, die Erleichterung gibt ihm recht, also muss es sich um eine reale Bedrohung gehandelt haben. Die Angst wird verstärkt, auch ähnliche Auslöser können künftig das Gefühl auslösen. Wer beispielsweise Angst hat, in ein Flugzeug zu steigen, könnte bei ganz ungünstigem Ausgang der Vermeidung künftig auch Züge meiden, usw. Wie gesagt, das Zwischenhirn hat es nicht so mit Logik.
Was kannst Du also tun, um diese Spirale der Angst zu unterbrechen und wieder zurück in die Leichtigkeit zu kommen?
Systematische Desensibilisierung ist ein angenehmeres Wort als Konfrontation und beschreibt die Vorgehensweise auch besser.
- Erstelle Dir eine Angsthierarchie: Welche Situationen gehen gerade noch, welche gar nicht? Hier arbeitest Du am besten schriftlich und mit 5-10 Stufen. Beispiel Flugangst: Höchste Angststufe: An Bord der Maschine gehen und losfliegen. Zweithöchste: An Bord eines geparkten Flugzeugs gehen und wieder aussteigen. Niedrigste: In die Nähe des Flughafens fahren und Starts und Landungen betrachten oder ein Foto eines Flugzeugs anschauen.
- Beginne bei der niedrigsten Stufe, die Du gerade noch aushalten kannst. Ein mindestens beklommenes Gefühl sollte dieser Reiz jedoch bei Dir auslösen. Geh nun also in die Situation und bleibe darin, bis die Angst nachlässt. Sage Dir, dass es nur Angst ist und dass nichts geschehen wird. Wenn Du vorher ein Entspannungsverfahren geübt hast, z.B. Atemübungen, kannst Du diese jetzt einsetzen. Es ist wichtig, dass Du in der Situation bleibst, bis die Erregung spürbar nachgelassen hat. Beim nächsten Mal wirst Du möglicherweise schon eine deutliche Verbesserung deiner Emotionen bemerken. Vielleicht ist die Angst immer noch da, aber ist sie noch genauso stark und anhaltend? Oder gibt es schon kleine Unterschiede zum ersten Mal? Beobachte sie, lass Dich auf sie ein! Ich bin sicher, es hat eine Entwicklung gegeben und sei sie noch so minimal. Vielleicht ist sie aber auch schon größer und Du fragst Dich bereits beim zweiten Anlauf, was so besonders an der „Trainingssituation“ war? Hier können tatsächlich „Wunder“ geschehen!
- Steigere nun die Schwierigkeit mit der nächsten Stufe, usw. Denke nicht an die letzte Stufe, das könnte Deine Motivation schwächen oder Dich ganz abschrecken.
Allein, mit Partner oder Therapeuten?
Wenn Du es Dir zutraust, kannst Du dieses Training allein machen, Du kannst aber auch zunächst eine Bezugsperson mitnehmen, die Dich in Deinem Ziel bestärkt und Dir Halt gibt. Bei ausgeprägter Panik solltest Du die Desensibilisierung mit einem Therapeuten machen. In diesem Fall kannst Du Dich allein auf jeden Fall schon mit Entspannungsübungen beschäftigen, auf die Du später zurückgreifst. Auch sonst sind Entspannungstechniken ein wahres Wundermittel gegen Ängste.
Du siehst: Konfrontationstherapie ist nicht so gruselig, wie es das Wort andeutet. Du machst alles in Deinem Tempo und in kleinen Schritten. Es ist nur wichtig, nicht aufzugeben. Wie bei einem Training. Der Lohn ist dafür umso verheißender: Ein Leben in Freiheit und ohne angst-induzierte Einschränkungen!